
Bernd Stöver ist außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam und Mitarbeiter des Zeithistorischen Instituts in Potsdam mit zahlreichen Publikationen zur deutschen und amerikanischen Geschichte. Wie Historiker so sind, hat er sich dabei meistens Teilaspekte (des Kalten Krieges) herausgegriffen, die er en detail aufarbeitet z.B. die Volksaufstände in Ostmitteleuropa oder den Antikommunismus in der McCarthy Ära.
Sein Buch über den Kalten Krieg aus dem Jahr 2007 ist ein 500-seitiger Gesamtüberblick. Normalerweise fordern von Forschern verfasste Sachbücher dieser Dicke vom Leser langen Atem und Konzentration, um die Detailfülle und -dichte zu verarbeiten. Keine Entspannungslektüre für den Feierabend.
Dass dieser Fall für mich anders liegt ist weniger dem Stil des Buches zu verdanken, als vielmehr der behandelten Epoche. Meine ganze Kindheit hindurch hatte ich das Gefühl, dass alles, was man aus der Geschichte kennt doch eigentlich eine Art Märchen sein müsse. Angeblich habe es in all den Jahrhunderten und Jahrtausenden ständig große Ereignisse und Taten gehagelt. Aber "heutzutage" tut sich gar nichts mehr. Die Geschichte ist zu Ende. Es herrscht Windstille. Die Gegenwart bedeutet nichts als kleinen Alltag, Stillstand, Langeweile und ok - Sicherheit und Wohlstand - gähn...
Wie verblüfft war ich also, dass nun jemand hingeht und über diese "Nicht-Geschichte" ein Geschichtsbuch schreibt. Und dann behauptet er auch noch, es handle sich um eine geschlossene Epoche - wie das?
Diese ungläubige Frage hat mir Bernd Stövers Buch überzeugend beantwortet. Tatsächlich - das war echte Geschichte und hey - es IST viel geschehen. Dass sich das historisch fühlbare Geschehen (Krieg, Umwälzungen, Unruhen, Flucht) ab ca. 1961 aus Mitteleuropa herausverlagert hat und diese Region quasi windstill im Auge eines Orkans lag, ist nur ein spezieller Teilaspekt des Ganzen (den ich sehr stark empfunden habe).
Die größte persönliche Bereicherung für mich ist, dass ich zwei in meinem Lebensgefühl völlig getrennte Epochen nun als Einheit sehe und empfinde: die Epoche meiner Eltern (Nachkriegszeit, Wirtschaftswunder, Volksaufstände in Osteuropa, Kubakrise, JFK, Mondlandung, Mauerbau, 50ger Jahre Kino, 6-Tage-Krieg, Vietnamkrieg, 68ger-Aufstände) und meine eigene Epoche (Atomkriegsangst, Friedensbewegung, Nicaraguakaffee, Iran-Contra-Affäre, Ayatollah Chomeni, Nato-Doppelbeschluss, James Bond Filme, Einmarsch der Russen in Afghanistan, Dritte Welt Problematik und Entwicklungshilfe als Waffe, Reagan-Ära, Glasnost und Perestroika, Wiedervereinigung).
Gott im Himmel - mit diesen zwei mickrigen Stichwortlisten werde ich der Inhaltsfülle und Tiefe dieses Buches auch nicht ansatzweise gerecht. Es geht ja gar nicht nur um Politik, sondern auch um den Kalten Krieg in Radio, Fernsehen, Musik, Kino, Literatur, Kunst, Architektur, Sport, Geheimdiensten, Propaganda, Technik, Soziale Bewegungen, Sozialpolitik usw. Jedenfalls gehört das tatsächlich zusammen - ist ein Kontinuum. Die Ära meiner Eltern ist mir jetzt ganz nahe.
Und jetzt? Die Wiedervereinigung ist nun schon fast 20 Jahre her; für meine Töchter fühlen sich Sowjetunion und DDR so irreal an, wie für mich Hitlerdeutschland oder Nachkriegszeit. Ob sie ihre Zeit auch mal mit meiner Zeit verkoppeln können?
Kinder, wie die Zeit vergeht! Endlich spüre ich das mal und denke es nicht nur. Wenn das nicht die Wirkung ist, die man von einem Geschichtsbuch erwartet, dann weiß ich es auch nicht. Unbedingt lesen!
.