Montag, 9. Juli 2007

Im Lande des Mahdi 1 ("Menschenjäger")

Nach 30 Jahren mal wieder einen Karl May in der Hand.
Ich liege im Bett, lese die ersten Seiten und versinke in der Phanatsiewelt meiner Kindheit. Wunderbar.

"Eine Segelfahrt auf dem Nil! Welches Erlebnis! Man hat el Kahira, die Pforte des Ostens hinter sich und strebt dem Süden zu. (...) Jetzt kann man mit dem Zug von Kairo nach Siut fahren; aber eine pfeifende Lokomotive am Nil, eine hässliche Rauchwolke in der herrlichen Luft des heiligen Stroms, das will mir wie eine Entweihung scheinen. Ich ziehe das Deck eines Schiffes dem engen Bahnabteil vor. Da sitzt man auf seiner Matte oder auf einem Polster, die Pfeife in der Hand und den duftenden Kaffee vor sich. Der breite Strom dehnt sich wie ein See vor dem Blick, scheinbar grenzenlos. Das erregt die Einbildungskraft, die vorauseilt, dem Süden entgegen, um ihn sich mit riesigen Pflanzen und Tieren zu bevölkern."


Aber ach, oh weh! Aus den Winnetou-Erzählungen meiner Erinnerung bin ich edle Indianer gewöhnt. Old Shatterhand war ein bescheidener, freundlicher Mensch. Karl May bedeutete für mich immer Lex Barker und Pierre Brice. "Im Lande des Mahdi" hingegen begegnet mir Kara Ben Nemsi Effendi als unerträglicher Aufschneider. Jeder, der ihm begegnet oder ihn begleitet ist dumm oder albern oder moralisch verworfen; primitiv in den Absichten und leicht zu durchschauen. Kara Ben Nemsi Effendi kennt das Land stets besser als die Eingeborenen, spricht alle Sprachen perfekt, beherscht alle Künste und ist immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Das erinnert mich an Sherlock Holmes, bei dem auch immer alles perfekt zusammenläuft. Man kann immer gewiss sein, dass er jede noch so schwierige Nuss knackt. Auch an Dr.Doolittle kommt mir in den Sinn, der vor jeder Reise absurde Sachen zusammenpackte - für eine Grönlandexpedition eine Gieskanne, eine Klobrille und Rollschuhe - und im Laufe der Reise wurden exakt diese Dinge dringend benötigt.

Diese Vergleiche sind auch schon der Schlüssel zum Verständnis meiner Zuneigung zu Karl May Romanen: mit ihren deutlich überzeichneten guten und bösen Charakteren und vorhersehbarem Verlauf ähneln sie Märchen. Mit ihrem einfachen Plot, einfachen Gerechtigkeit und einfachen Sprache ähneln sie vielen biblischen Geschichten. Man muss in Stimmung sein, um so etwas zu lesen - eine Zeit lang in die naive Weltsicht der Kindheit zurückfallen wollen.

Wenn man die erwachsenen Sicht nicht ausschalten kann und Karl May mit großer Literatur vergleicht, kann das Urteil nur vernichtend sein. Nach 20 Seiten hat man den ganzen Karl May erfasst:
Er stilisiert sich zu einem wunderbaren Helden. Dabei geht er grotesk primitiv vor. Er ist ein naiver Angeber - geradeheraus, ungeschmickt, ohne jedes Gefühl für Peinlichkeiten. Bei seiner Selbstinszenierung stützt er sich auf das Überlegenheitsgefühl des imperialistischen Zeitalters der restlichen Welt gegenüber. Er als Europäer und Christ ist allen anderen haushoch überlegen. Jeder Europäer ist mehr wert, als zehn Afrikaner. Wiederholt weißt er darauf hin, dass die tiefe Bewunderung und Ehrfurcht, die die Ägypter für ihn empfinden, ganz und gar unverdient sei, da jedes deutsche Schulkind die fraglichen Kenntnisse habe.

Ein Teil der Überlegenheit war damals auch gar nicht von der Hand zu weisen: allgemeine Schulbildung, aufgeklärtes Denken, Wissenschaft, überlegene militärische Machtmittel, straffe Verwaltung der Kolonien und Mandatsgebiete und technisches Know-How. Leider vermischt er dies mit moralischer und kultureller und intellektueller Überlegenheit. Den Deutschen hat es aber damals offensichtlich gefallen. Auch an die Naziideologie fühle ich mich erinnert: auf den ersten Blick schöne und gute Menschen, klarer Blick, Mut und Aufrichtigkeit etc. Einfache Sprache mit klaren Botschaften und prägnanten Sprachbildern. Auf den zweiten Blick eine unglaublich verquaste Mischung aus Halbwahrheiten, Vereinfachungen, Ausblendungen und nicht zusammenpassenden Versatzstücken.

Ein markantes Beispiel dafür sind seine ständigen Hinweise auf sein Christentum! Im ersten Moment fühlt man sich von den ethischen Standards angesprochen: edel sei der Mensch, hilfreich und gut. Auf den zweiten Blick ist dies doch aber gar nicht typisch christlichch! Und um sich selbst noch mehr zu erhöhen, greift er auch hier wieder zum primitivsten aller Mittel - die Anderen zu erniedrigen:
"Sein Verhalten lies mich den Einfluss des Islam mit dem Christentum auf den Menschen vergleichen. Welche Liebe, Sanftmut, Demut und milde Freundlichkeit beobachtet man bei den Mitgliedern christlicher Bruderschaften, und wie hochmütig, verstockt und frech trat dieser Leiter einer muslimischen Verbrüderung auf.
So sind sie alle, die unwissenden Mulimin, deren Frömmigkeit sich meist nur im gedankenlosen Herleiern einiger Gebete bestätigt: verbissene und verständnislose Menschen (...)"
Wäre er nicht schon tot, hätte er das heutzutage bestimmt nicht überlebt. Er wäre von verbissenen Mitgliedern muslimischer Verbrüderungen mit einer Fatwa belegt worden.

So, nach dieser Schimpftirade muss ich aber schnell aufhören und mich mit Butterkeksen ins Bett zurückziehen. Ich habe mir den nächsten Band ("Der Mahdi") gekauft und kann nicht abwarten, endlich weiterzulesen...